Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.
(4. Buch Mose 6,22-27)
Was geschieht mit uns, wenn wir gesegnet werden?
Was ist „Segen“?
Was tun wir, wenn wir einander segnen?
Selbst Menschen, die sich nicht als gläubig bezeichnen würden, rutscht manchmal ein Satz wieder dieser raus: „Alles Gute kommt von oben“!
Segen ist grundsätzlich etwas Gutes. Über-setzt man es wörtlich aus dem Hebräischen, müsste man von einer „heilschaffenden Kraft“ sprechen. Gott will, dass wir Menschen heil werden und dass es uns gut geht! Wenn jemand nach einer Krankheit wieder laufen, lachen oder arbeiten kann, dann ist das ein Segen…!
Das Leben an sich und alles, was unserLeben lebenswert macht, kann als Segen bezeichnet werden: Liebe, Lebensfreude, Lebenskraft, Glück, Zufriedenheit, Heilung, Gesundheit oder auch Wohlstand.
Der Segen ist oft mit einschneidenden Erlebnissen verbunden.
Kennen Sie solche „Torsituationen“?
Ich meine nicht die Strafraumsituationen im Fußball. Ich meine die Torsituationen unseres Lebens.
Es sind die Momente, in denen wir bildlichgesprochen durch ein Tor gehen und einen neuen Raum betreten. Durch ein solches Tor zu gehen, kann eine Zäsur bedeuten. Eine solche Tür zu öffnen, kann ein Leben völlig verändern. Auf der Schwelle zu einemsolchen neuen Lebensabschnitt halten wir dann oft kurz inne, schauen zurück und gehen dann nach vorn.
Und ich glaube, dass auch die gegenwärtige, durch einen Virus ausgelöste Krise so eine Torsituation ist. Gerade gehen wir durchdieses Tor hindurch und blicken zurück. Hinter uns liegt eine Welt, in der alles immerschneller, höher, weiter, bunter sein musste.
Kreuzfahrten, Flugreisen, Selfies vor den beliebtesten Orten der Welt,Bilder von exotischen Speisen,die bei Instagram gepostet wurden,Massentierhaltung, Ausbeutung der Natur, Klimawandel, Konsum ohne Grenzen,Gehälter und Transfersummen, die keineethischen Maßstäbe mehr kannten, soziale Ungleichheit,Rassismus und Intoleranz, Krieg und Terror, Flucht und Vertreibung, Demagogen, die an der Demokratie zündeln und Menschenrechte mit Füßen treten.
Dann kommt ein Virus, und diese Welt steht für einen Moment still. Wir gehen durch das Tor –was liegt vor uns?Ich hoffe, eine neue, bessere Welt und bitte Gott dafür um seinen Segen!
Aber es müssen gar nicht die großen, welt–bewegenden Ereignisse sein, die uns Tor–situationen erleben lassen. Es kann auchetwas ganz Privates sein, etwas, was nur mich oder meine Familie und den engsten Kreis um mich herum betrifft.Die Geburt eines Kindes stellt solch eineZäsur dar –übrigens auch für das Kind selbst. Wie durch ein Tor verlässt es den Ort, der für etwa neun Monate sein Zuhause und ein Schutzraum war. Vor dem Kind und vor den Eltern liegt dann eine völlig neue Welt.
Es gibt viele „Torsituationen“ im Leben:die Einschulung oder der Schulabschluss,der Beginn der Ausbildungoder des Studiums,eine Begegnung, die alles verändert, eine Berührung, ein Wort, der erste Kuss, eine Hochzeit und das Versprechen,füreinander da zu sein,die neue Arbeitsstelle,der Eintritt ins Rentenalter,ein Umzug, eine Krankheitund nicht zuletzt der Tod.Auch in der Stunde des Todes stehen wir an der Schwelle. Auch dann halten die meisten Menschen kurz inne, schauen zurück undgehen dann nach vorn.
Immer wenn etwas geschieht, was unserLeben nachhaltig verändert, sehnen wir uns nach Segen, nach etwas, was unser Leben trägt, nach etwas Sicherheit. Die Menschen früher hatten dazu einenstärkeren Bezug als wir. Fast über jeder Tür hing ein Segensspruch. Heute findet man das nur noch selten.Damit verbunden ist der Gedanke, dasssowohl der Eingang in das Haus als auch das Verlassen des Hauses unter dem SegenGottes stehen soll. Ich fände es noch immer schön, hin undwieder den Menschen, die wir lieben und die uns wichtig sind, ein Segenswort mit auf ihren Weg zu geben, wenn sie unsere Wohnung oder unser Haus verlassen.
Wenn wir als Gemeinde diesen Raum durch die Tür verlassen und über die Schwelle in die nächste Woche gehen, tun wir das nicht ohne den Segen Gottes. Meist spreche ich amEnde des Gottesdienstes den aaronitischen Segen, wie er im 4. Buch Mose überliefert worden ist. Wir haben ihn in der Schriftlesung bereits gehört:
„Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dichund gebe dir Frieden.“
Zweimal ist hier von Gottes Angesicht die Rede:
vom leuchtenden und vom erhobenen Ange-sicht. Sein Angesicht erheben bedeutet, je-manden freundlich zugewandt sein –mit leuchtenden Augen.
Wenn Eltern ihr Kind liebevoll anschauen, weiß es sich geliebt. Auf diese Weise ent–wickelt sich Urvertrauen und eben auch ein gesundes Selbstwertgefühl. Leider gibt es viel zu viele Kinder, die diese Erfahrung nicht oder nur selten machen.
Wir Menschen leben nicht nur von Wasser, Luft und Nahrung, wir leben auch vonBeziehungen. Wenn zwei Menschen sich von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen und sich tief in die Augen schauen, entsteht Beziehung. Genau genommen ist Segen ein Beziehungsbegriff. Wir beziehen die Kraft aus der Beziehung mit Gott.
Aber kann es auch sein, dass Gott sein Angesicht von uns abwendet?
Diese Sorge hat es seit Anbeginn der Zeit bei vielen Menschen immer wieder gegeben. Sie gibt es auch in dieser Zeit wieder. Doch das müssen wir nicht befürchten, wenn wir das Leben und Wirken Jesus Christus vor Augen haben.
Seine Botschaft ist klar:
Ich nehme alles auf mich –selbst den Tod –um Euch nahe zu sein. Selbst wenn Ihr Euch von Gott abwendet und anderen Dingen zu-wendet, wird das nichts daran ändern, dass das leuchtende Angesicht meines Vaters Euch zugewandt bleibt.
Liebe Gemeinde,Segen empfangen wir, indem uns aus derBeziehung zu Gott Kraft für unser Lebenzuströmt. Das bedeutet nicht unbedingt, dass Gott alle unsere Wünsche erfüllt. Es kann auch sein, dass nicht alles gut wird. Trotzdem oder gerade deshalb wende ich mich Gott zu und vertraue darauf, dass mir mein Leben lang Gutes und Barmherzigkeit folgen werden. Wir haben sie gerade gebetet –diese eben-falls sehr bekannten Worte aus dem 23. Psalm, der davon spricht, dass das Leben sich nicht nur auf „Hochebenen“ abspielt. Es gibt auch tiefe, dunkle Täler.Es gibt auch innere und äußere Feinde, die es uns im Leben schwer machen. Ängste, Krank-heiten, Unglücke, Sorgen, Ungerechtigkeit, Machtspiele und Gewalt –unsere Feindehaben viele Namen.Doch im Angesicht dieser Feinde deckt Gott mir den Tisch. Es kommt darauf an, worauf ich meine Gedanken lenke –auf meine Fein-de, also auf das, was mir das Leben schwer macht, oder auf Gott, der mir seinen Segen schenkt.
Zum Schluss möchte ich noch auf einenletzten Aspekt des Segens hinweisen:
Das griechische Wort, das im Neuen Testa-ment für „segnen“ zu finden ist, bedeutet auch „gut reden“. Gott spricht gut zu uns. Er wünscht uns seinen Frieden, seinen Schalom. Gott wünscht uns im besten Sinne des Wortes Zufriedenheit und Zuversicht. Und dieses„gut–reden Gottes“ hat interessanterweiseeine Wechselwirkung:
Wenn ich die Kraft des Segens spüre, rede ich auch gut von dem, der mir diese Kraft schenkt. Ich fange an, gut von und mit Gott zu reden und ihn zu loben. Mein Gesicht fängt an, den Segen Gottes auszustrahlen. Und so kann ich selbst zum Segen werden. EinLächeln, eine Geste, ein gutes Wort –schon das kann ein Segen sein.Ich möchte Euch und Sie einladen, auf die „Torsituationen“ im Leben der Menschen zu achten, die uns begegnen und mit denen wir leben. Wenn wir den Mut haben, unserGegenüber mit Worten und Gesten zu segnen werden wir erleben, wie sie dann gestärkt die Schwelle zu einem neuen Lebensraum über-schreiten. So werden wir selbst zum Segen für andere.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen