Am 14. Juli setzten die Regenfälle ein, die in Teilen von NRW und Rheinland-Pfalz Tod, Zerstörung und großes Leid mit sich brachten. Die Bilder aus den Hochwassergebieten erreichten mich in der Normandie. Im Urlaub lese ich die Tageszeitung auf dem Tablet. So entstand der Screenshot. Es ist für mich ein Symbolbild. Es steht für unseren Umgang mit den Katastrophen, die durch den von Menschen gemachten Klimawandel und die weiter voranschreitende Zerstörung der Natur ausgelöst werden. Doch dazu später mehr.

Zuerst möchte auch ich meine Betroffenheit äußern. Nichts von dem, was ich schreibe, soll das Leid derer schmälern, die von der Flut- und Hochwasserkatastrophe betroffen sind, die um ihre Existenz fürchten und vor den Trümmern ihres Lebens stehen. Es sind Tote und Verletzte zu beklagen. Ich kann nur erahnen, wie groß der Schmerz der Betroffenen ist.

Mit großem Respekt blicke ich auf die vielen helfenden Hände, die in den betroffenen Regionen mit anpacken, um die schlimmsten Folgen der Flut zu beseitigen. Die Hilfsbereitschaft ist enorm und adelt unser Land. Auch der seelische Beistand hilft den Menschen in der Not. Und wer nicht vor Ort helfen kann, der spendet. Jeder Euro hilft. Das alles ist notwendig und richtig, es zu sehen, macht mich dankbar.

Knapp zwei Wochen nach der Flut beginnt aber auch die politische Aufarbeitung. Es braucht ein radikales Umdenken. Es braucht den Willen zur Veränderung – im Hochwasser- und Katastrophenschutz, in der Umwelt- und Klimapolitik, im Handeln eines jeden Einzelnen. So oder ähnlich äußern sich Wissenschaftler*innen und Politiker*innen nahezu aller in den Parlamenten vertretenen Parteien.

Aber wird es das Umdenken und die Veränderungen geben, die nun erneut überall eingefordert werden? Werden wir der Natur wieder einen Teil des Raums zurückgeben, den wir ihr über Jahrhunderte entrissen haben? Werden wir zu einem neuen Wachstumsbegriff kommen, der nicht nur das Bruttosozialprodukt zum Maßstab nimmt, sondern den Verbrauch der natürlichen Ressourcen als Verlust einrechnet, den Erhalt natürlicher Lebensräume als Gewinn? Werden wir eine konsequente Klimapolitik erleben, die die Erwärmung des Planeten zumindest stark bremst?

Ich wünsche es mir! Ich bin zwar nicht ohne Hoffnung, aber es fällt mir schwer zu glauben, dass wir uns unserer Verantwortung stellen und unser Verhalten ändern. Warum? Das möchte ich an zweien von vielen möglichen Beispielen erläutern.

Weihnachten 2004 erschütterte ein Erdbeben den Indischen Ozean und löste einen verheerenden Tsunami aus. Etwa 230.000 Menschen starben. Acht Länder waren von schweren Verwüstungen betroffen. Zu den betroffenen Küstenabschnitten gehörten auch die bei Touristen beliebten Strände in Thailand. Die Ureinwohner an dieser Region waren Fischer. Sie kannten die Gefahr. Dieses Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Entsprechend bauten sie ihre Dörfer im Landesinneren und trugen ihre Fischerboote zum Teil über mehrere Kilometer zum Stand.

Heute stehen Hotelanlagen direkt am Meer, damit die Gäste aus ihren Betten ohne Umweg auf das Strandtuch fallen können. Daran hat auch die Katastrophe von 2004 nichts geändert, die sich jederzeit wiederholen kann.

Im August 2002 führte ein Hochwasser an der Elbe und ihren Nebenflüssen zu großen Überschwemmungen im Freistaat Sachsen. Insgesamt kamen in den Fluten, die als Jahrhunderthochwasser bezeichnet wurden, 20 Menschen ums Leben, der Sachschaden belief sich ca. 6 Milliarden Euro. Auch damals waren die Betroffenheit und die Solidarität groß, doch geändert hat sich seitdem im Hochwasserschutz und im Baurecht wenig. Geblieben sind die mahnenden Worte aus der Wissenschaft, dass die Abstände zwischen den „Jahrhunderthochwassern“ immer kleiner, ihre Wucht aber immer größer wird.

Starkregen, Tornados, Dürren, Anstieg des Meeresspiegels, das Abschmelzen der Polkappen und Gletscher als Folgen der globalen Erwärmung – die Nachrichten sind voll davon. Und niemand sollte behaupten, dass diese Entwicklung nicht voraussehbar war.

Seit 1972 warnen die Mitglieder des „Club of Rome“ regelmäßig vor den Folgen der Ausbeutung des Planeten durch den Menschen. Nun tritt nach und nach ein, was die wissenschaftlichen Studien schon vor Jahrzehnten berechnet haben.

Aber der Mensch tanzt weiter fröhlich um das „Goldene Kalb“, das für einen falsch verstandenen Wachstums- und Konsumbegriff steht. Und selbst in diesen Tagen der großen Betroffenheit in unserem Land sind die sozialen Medien voll von Warnungen, diese Flut als Anlass für schärfere Maßnahmen zum Umweltschutz zu nehmen. Besonders laut sind die, die schon ein Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen als Angriff auf ihre Freiheitsrechte sehen. Politische Gegner werden als „dumm“ bezeichnet, diffamiert und verhöhnt, darunter auch die Vertreter*innen einer Jugend, die es wagt, für ihre Zukunft freitags auf die Straße zu gehen, während die ältere Generation ihre nächste Flugreise oder Kreuzfahrt plant, sobald das in Zeiten einer Pandemie kurzfristig wieder möglich ist.

Und damit bin ich bei meinem Screenshot. Er zeigt eine Doppelseite der WAZ vom 17. Juli. Auf der einen Seite wird die Flutkatastrophe als „Tagesthema“ verarbeitet, auf der anderen Seite wird ganzseitig für Kreuzfahrten geworben.

Das Handelsblatt hat nicht den Ruf, ein Organ der Umweltverbände zu sein. 2019 berichtete es über eine Studie, laut der der CO²-Ausstoß eines Kreuzfahrtschiffes im Schnitt 277 Gramm pro Kilometer und Passagier beträgt. Ganz abgesehen davon, wie sinnvoll es ist, ganze Städte aus Stahl zu bauen und über die Weltmeere zu bewegen, ist hier der Vergleich mit anderen Verkehrsmitteln interessant. Bei einem Flugzeug sind es 211 g pro Kilometer und Person, bei einem nur mit dem Fahrer besetztem PKW 198 g und im ICE 36 g.

Ich reise selbst gerne, aber hier stellt sich die Frage, ob  – bei allem Anspruch auf Erholung und Genuss – Urlaubsreisen nicht umweltverträglicher sein sollten und können.

Keine Frage aber ist es, dass es hier der Funke Mediengruppe nicht nur an Feingefühl sondern auch an journalistischer Verantwortung fehlt. Meine Kritik würde nicht so hart ausfallen, wenn die Redaktion nicht veröffentlicht hätte, dass das Medienunternehmen 50.000 € für die Opfer der Flut gespendet habe. Bedenkt man aber, dass der Millimeter-Preis für eine gewerbliche Anzeige in der Gesamtausgabe 68,– € kostet und eine ganzseitige Werbung im Farbdruck mehrere 10.000 € kosten kann, verliert diese Summe an Bedeutung. Anders wäre es, wenn die Funke Mediengruppe die Einnahmen aus der Werbung für Kreuzfahrten aus den letzten fünf Jahren spenden würde…

Am Ende müssen sich Privatpersonen und Unternehmen gleichermaßen nach ihrer Verantwortung für die kommenden Generationen fragen lassen. Aber vor allem sollten wir aufhören, uns etwas vorzumachen. So wichtig Hilfsaktionen und Spenden sind, wird es uns nicht gelingen, uns bewusst oder unbewusst von unserer Schuld freizukaufen

Wer sich als Christin oder Christ bezeichnet, der ist im Blick auf die Katastrophen unserer Tage nicht nur verpflichtet zu helfen und zu spenden, zuzuhören und zu trösten, um die Not der Opfer zu lindern. Er ist vor allem dazu verpflichtet, Verantwortung für den Erhalt der Schöpfung zu übernehmen. Der Welt steht das Wasser bereits bis zum Hals – nicht nur in diesen Tagen!

Rainer Kaspers, Pfarrer